"Feeling the diaphragm responding slightly to the bottom end of the music"
Last edited on November 24, 2005
Ich lese im Moment Pattern Recognition von William Gibson. Und ich muß sagen, daß er mir unheimlich auf die Nerven geht! Er scheint seine eigene Schreibe so sehr zu genießen und beeindruckt von sich zu sein. Stolz auf seine Wortkreationen und Begriffserfindungen wiederholt er sie ständig und immer wieder. Mirror-world cars, mirror-world lamps, mirror-world was-weiß-ich-nicht-alles; Lombard, Lombardhood und -ness (Akronym zu "Lots Of Money But A Real Dickhead").
Und dann die zerstückelten Satzungetüme! Ich mag eigentlich lange Sätze. Eine tolle Übersetzung ins Deutsche1) von Dantes La (Divina) Commedia schätze ich u.a. sehr wegen des anspruchsvollen, aufwendigen Satzbaus. Beeindruckende und bemerkenswerte Satzungetüme über zig Verse wie:
(PURGATORIO - Canto XVI, Verse 1-9)
oder:
(PURGATORIO - Canto XVII, Verse 1-9)
Aber genau das verlange ich dann auch: Daß sie gut (konstruiert) sind! (Gut, ein Vergleich mit einem Jahrtausendmeisterwerk, oder auch nur einer Übersetzung dessen, ist etwas hart.) Gibsons aufgepumpte Konstruktionen, ständige Einschübe, Geraderückungen, nerven einfach. Dann wieder Satzbruchstücke; kleine Fetzen. Zwischendurch läßt er die Charaktere ach so philosophische Gedanken miteinander austauschen. Kleine Details gehören natürlich ausführlich beschreiben, ständig:
Yeah.
Ein weiteres Zitat will ich nicht vorenthalten. Es ist einfach
nur. . . Selten habe ich schönere Metaphorik genossen. Lest selbst:
(Kontext: Ein Gespräch zwischen der Protagonistin, Cayce, und ihrem Boss, Hube(rtus) Bigend, in einem Restaurant (Sorry, "a bar-restaurant retrofitted to look as little as possible like a pub, and whose lighting reminds her, as they approach its windows and the thump of bass, of the color of spent flashbulbs, fried steel wool through smoked glass").)
Nein, sie ist nicht einfach überrascht, daß ihr Boss sie auf die Filmschnippsel jener Subkultur anspricht! Nein, wummernde Bässe bis das Diapragma vibriert, bemerkt sie! Mhmmm, das sind Bilder! Da dürfte Gibson stolz auf sich sein!
Wenn es nicht leider nur ein Übersetzungsfehler meinerseits wäre. Diaphragm heißt neben Diaphragma (in der medizinschen Bedeutung) auch einfach nur Zwerchfell (wenn es anatomisch gemeint ist). Schade, darf er doch nicht stolz auf sich sein. Zwerchfell erschütternde Bässe kennt man schon.
So, weiterlesen. . .
Nachtrag
Dies ist keine inhaltliche Kritik, sondern bezieht sich schlicht auch Gibsons Sprache. Offensichtlich ist der Eintrag entstanden, als es mir gerade einfach zu viel geworden ist. Man muß sich immer etwas auf den Stil des Autors einstellen, und Gibson hat sicher viel Stilwillen — der mir gerade eben so gar nicht gefallen will. Vielleicht ändert sich das noch. Manches an dem Buch hat mir bisher auch gefallen, was ich ungerechterweise verschwiegen habe, und vielleicht trägt sogar die Sprache etwas dazu bei.
1)
Dante, Die göttliche Komödie
Deutsch von Friedrich Freiherr von Falkenhausen
Insel Taschenbuch 94
1. Auflage 1974
Copyright der deutschen Übertragung Insel Verlag 1937
ISBN: 3-458-01794-1 <2 Bde 1400>
Nachdem ich eine ganze handvoll Übertragungen angelesen hatte (und später weiter verglichen habe), gefiel — und gefällt — mir diese noch am besten. Mit dem Nachteil, daß das Deutsche einfach zu flüssig und gefällig plätschert, während Dantes (spät-)mittelalterliche Italienisch düster funkelt:
Qui le trascineremo, e per la mesta selva saranno i nostri corpi appesi, ciascuno al prun de l'ombra sua molesta.
(INFERNO - Canto XIII, Verse 103-108)
Ausschließlich wegen solcher Verse hatte ich vor Jahren angefangen, Italienisch zu lernen! Für Dante wird es allerdings selbstredend lange nicht reichen. . . Vor allem, weil ich nach nicht allzu langer Zeit wieder aufgehört habe.