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Literature Archives for May 2006

Dem ganzen Staat helfen

May 18, 2006, Literature
Last edited on August 2, 2006

Gräfin: Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen. Ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.
Obrist: Ihre Idee ist lange die meinige gewesen, nur habe ich sie nicht so schön gedacht. Der König müßte dergleichen Personen besolden, die sich auf die Art dem äußersten Bedürfnis seiner Diener aufopferten, denn kurz um, den Trieb haben doch alle Menschen; dieses wären keine Weiber die die Herzen der Soldaten feig machen könnten, es wären Konkubinen die allenthalben in den Krieg mitzögen und allenfalls wie jene medischen Weiber unter dem Cyrus die Soldaten zur Tapferkeit aufmuntern würden.
Gräfin: O daß sich einer fände diese Gedanken bei Hofe durchzutreiben. Dem ganzen Staat würde geholfen sein.
Obrist: Und Millionen Unglückliche weniger. Die durch unsere Unordnungen zerrüttete Gesellschaft würde wieder aufblühen und Fried und Wohlfahrt aller und Ruhe und Freude sich untereinander küssen.

Der Schluß von Die Soldaten von Jakob Michael Reinhold Lenz, 1776; Schreibung und Zeichensetzung sind so von der mir vorliegenden Fassung übernommen. Diese unterscheidet sich zumindest im zitierten Ende völlig von derjenigen, die sich auf den Seiten des deutschen Projekts Gutenberg findet, wovon sich jeder gerne selbst überzeugen kann.

Ich habe hier aus dem Buch Lenz — Werke und Briefe in drei Bänden, Band 1, 1987 herausgegeben von Sigrid Damm im Carl Hanser Verlag abgeschrieben.Zur abgedruckten Fassung von Die Soldaten wird darin bemerkt:

Nach dem die Ahndschrift zugrunde legenden Druck in: Titel und Haug, Bd. 2, S. 181—247.
Der Erstdruck: Die Soldagen. Eine Komödie. Leipzig, bei Weydmanns Erben und Reich. 1776 wurde zum Vergleich herangezogen.
Handschrift in Berlin (West).

Das eigene Leben

May 4, 2006, Literature

Annabelle, die in einer glücklichen Familie geboren war (in fünfundzwanzig Ehejahren hatten ihre Eltern keinen einzigen ernsthaften Streit gehabt), wußte, daß ihr Leben ebenso verlaufen würde. In dem Sommer, bevor sie Michel begegnete, begann sie, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen; sie wurde bald dreizehn.

Und1):

Irgendwo auf der Welt gab es einen Jungen, den sie nicht kannte und der sie auch nicht kannte, aber mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Sie würde versuchen, ihn glücklich zu machen, und er würde seinerseits versuchen, sie glücklich zu machen; aber sie wußte nicht, wie er wohl aussehen mochte; das war sehr verwirrend. In einem Brief an die Micky-Maus-Redaktion hatte eine Leserin in ihrem Alter von der gleichen Verwirrung berichtet.

Aus Michel Houellebecqs Les particules élémentaires (1998) in deutscher Übersetzung als Elementarteilchen von Uli Wittman (1999); Seite 55.

(Siehe auch Houellebecq, Elementarteilchen, "Größtes irdisches Glück" und Nietzsche.)


Fußnote

1)
Beide Teile sind im Buch ohne jede Trennung, ohne auch nur einen Absatz getrennt. Dabei sind beide so unterschiedlich, beherbergt einer gar beängstigenden Gedanken.

Nietzsche

May 4, 2006, Literature
Last edited on May 10, 2006

Er erachtete den Gebrauch, den die Nazis von Nietzsches Gedankengut gemacht hatten, für durchaus legitim: In seinen Augen führte Nietzsches Gedankengut, dadurch daß es das Mitgefühl negierte, sich über die moralischen Gesetze erhob und den Willen und das Reich des Willens begründete auf natürliche Weise zum Nazismus.

Aus Michel Houellebecqs Les particules élémentaires (1998) in deutscher Übersetzung als Elementarteilchen von Uli Wittman (1999); Seite 51.

(Siehe auch Houellebecq, Elementarteilchen und "Größtes irdisches Glück".)

"Größtes irdisches Glück"

May 4, 2006, Literature

Viele Jahre später, als er Anfang Vierzig war, verbittert und vom Leben enttäuscht, sollte das Bild wieder vor seinen Augen stehen, wie er sich als Vierjähriger auf seinem Dreirad abmühte und, so schnell er konnte, durch den dunklen Flur bis zu der hellen Öffnung des Balkons fuhr.

Aus Michel Houellebecqs Les particules élémentaires (1998) in deutscher Übersetzung als Elementarteilchen von Uli Wittman (1999); Seite 42/43.

(Siehe auch Houellebecq, Elementarteilchen.)

Houellebecq, Elementarteilchen

May 4, 2006, Literature

Von dem äußerst bemerkenswerten, da tollem Ereignis des European Common Lisp Meetings zurückkehrend mußte ich mich in kurzer Zeit für ein Buch entscheiden, da der ICE der Rückfahrt höchst wahrscheinlich, und schändlicherweise, ein ICE 1 ohne Steckdosen sein würde. Glücklicherweise fiel die Wahl auf Michel Houellebecqs Les particules élémentaires (1998) in deutscher Übersetzung als Elementarteilchen von Uli Wittman (1999), aus dem ich hier und in folgenden Beiträgen zitieren möchte (Seite 39):

Michel bebte vor Empörung und spürte auch dabei, wie in ihm eine unerschütterliche Überzeugung heranreifte: Im ganzen gesehen war die ungezämte Natur nichts als eine ekelhafte Schweinerei; im ganzen gesehen rechtfertigte die ungezähmte Natur eine totale Zerstörung, einen universellen Holocaust — und die Aufgabe des Menschen auf der Erde bestand vermutlich darin, diesen Holocaust durchzuführen.

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