"Wo weiland das Plakat Prestige pappte"
January 16, 2006,
Literature
Last edited on February 28, 2007
"Wo genau verbergen sich jene Schalter, die den Ahnen den Weg wiesen zu aufrechtem Gang, Sprache, Bewusstsein?"
Gelesen auf Seite 138 des Spiegels mit dem Titel Gott gegen Darwin —
Glaubenkrieg um die Evolution , Ausgabe 52/2005, im Artikel Darwins Werk, Gottes Beitrag.
Was für ein toller Satz! Vor die Präposition vorgezogenes Verb ("den
Weg wiesen zu aufrechtem Gang"), andere Konstruktion, als man
normalerweise erwarten würde, (nicht "Weg zum aufrechten Gang",
sondern eben "Weg zu aufrechtem Gang") und dann auch noch diese
schöne Klimax ohne "und" am Ende, die eben genau durch die
aufgebrochene Klammer, die andernfalls das Verb gebildet hätte, auch
am Ende stehen kann, und dadurch zusätzliche Hervorhebung erhält. Man
liest eben nicht:
"Wo genau verbergen sich jene Schalter, die den Ahnen den Weg zum
aufrechten Gang, zu Sprache und Bewußtsein wiesen?"
So macht lesen Spaß!
Schneider
Übrigens macht mir das Spiegel-Lesen insgesamt viel mehr
Spaß, seit ich ein Buch von Wolf
Schneider, u.a. ehemaliger Leiter der Hamburger
Journalistenschule, gelesen habe. Über das ganze Buch verteilt zitiert
er ständig den Spiegel als schlechtes Vorbild. Um ein
Beispiel dessen zu geben sei der folgende Absatz von Seite 81
wiedergegeben, in dem das "er" sich übrigens auf den Stabreim bezieht:
"Freilich ist er ein kleines Übel, verglichen mit den miesen Maschen, Moden,
Meisen, Mätzchen, Marotten und Manien, mit denen der Spiegel die deutsche
Journalistensprache überzogen hat."
(Hmmm, sollte man hier bemerken, daß er selbst nicht für den Spiegel
geschrieben hat, sondern unter anderem für die Süddeutsche
Zeitung, den Stern und Die Welt? (Zumindest laut
der deutschen Wikipedia.))
Wenn man aber nicht über diese vielen, ständig wiederholten Seltsamheiten einfach hinwegliest, sondern sie bewußt wahrnimmt, kann man nur immer wieder schmunzeln, was die Autoren gar noch in die kleinste Überschrift hineinpacken.
Das Buch hat mir jedenfalls äußerst gut gefallen, auch wenn ich den
Titel für ziemlich ungeschickt gewählt halte. Mich schreckt er
jedenfalls ab, und hätte ich das Buch nicht netterweise einfach so
zwischendurch mal geschenkt bekommen, hätte ich es wohl keines
weiteren Blickes gewürdigt; er lautet Deutsch für Profis
— Wege zu gutem Stil.
Es ist ein Sachbuch, ein Handbuch für Journalisten, doch durch
zahlreiche, oft unfreiwillig komische Beispiele aus Presse und
Rundfunk (mit entsprechenden Kommentaren Schneiders) ist es sehr
unterhaltend. Nehmen wir folgende Auseinandersetzung mit "ziemlich
schweren Verwüstungen" auf Seite 48:
Ziemlich schwere Verwüstungen
"Der Hurrikan hat in Miami schwere Verwüstungen angerichtet."
Diese typische Nachricht enthält nicht weniger als vier sprachliche und logische Torheiten:
- "In Wüste verwandeln" ist ein Superlativ, den keine Phantasie
übersteigen kann. "Schwere" Verwüstungen sind so sinnvoll wie
"starke" Orkane oder "ziemliche" Katastrophen.
- Verwüstungen anrichten ist ein Streckverbum, wie es im
nächsten Kapitel angeprangert wird: es sagt nichts anderes als
verwüsten.
- Verwüstung lässt keinen Plural zu, so wenig wie Versandung,
Vermehrung oder Verehrung. Oder sollte der Hurrikan in Miami fünf bis
sechs Verwüstungen angerichtet haben?
- Der Hurrikan hat also Miami verwüstet. Wie, das hat er gar
nicht — nur Teile von Miami? So ist das: Wenn ich ein Verbum
substantiviere, strecke, in die Mehrzahl versetze und mit einem
Beiwort noch steigere — dann sagt es weniger aus als
zuvor. Miami wurde gar nicht "verwüstet", sondern "Ein Stadtteil
von Miami wurde verwüstet" oder "In Miami entstanden schwere
Schäden". Das Spreizwort "schwere Verwüstungen anrichten" ist ein in
Großauflage gedrucktes Etikett für einen gehobenen
Versicherungsfall, das in den Köpfen der Journalisten zweieinhalb
leichte Verwüstungen angerichtet hat.
(Die neue Rechtschreibung habe ich so aus dem Buch übernommen.)
Oh, wenn ich schon dabei bin: Einen weiteren Satz — reich an Saft
und Kraft — muß ich zitieren. Im Kapitel Weg mit den Adjektiven führt er Gründe auf, daß
die Adjektive, "die am häufigsten überschätzte und am meisten
missbrauchte Wortgattung", "anders als die Füllwörter aber, die sich
aus jedem Text leicht tilgen lassen, [...] Schaden an[richten]". Mit
einem bemerkenswert ausdrucksstarken Satz beendet er den
Sinnabschnitt auf Seite 41:
"Auch wo sie all dies meiden, neigen sie immer noch dazu, sich auf
schlanke Verben und pralle Substantive wie Schwabbelfett zu legen."
Das Zitat, das als Überschrift dieses Eintrags dient, ist übrigens
auch dem Buch entnommen, das hier wiederum die Welt am Sonntag, Ausgabe vom 7.9.1980,
zitiert; es ist das gipfelnde Abschreckungsbeispiel zum bereits
erwähnten Abschnitt über Reime, diesmal im Fließtext und auf Teufel
komm raus, unter Verwendung altmodischer Wörter ("weiland").