mgr's weblog

Archives for September 2005

Andrew Lloyd Webbers Musical:
The Phantom of the Opera

September 30, 2005, Literature
Last edited on October 19, 2005

Original London production poster

Es ist mir fast peinlich, daß unter meinen spärlichen Blogeinträgen das Phantom der Oper schon zum dritten Mal Thema wird, wo ich doch noch mindestens sieben, acht völlig andere Blog-Artikel im Kopf habe, aber:

Wow!

Unglaublich!


Schon vor einem halben Jahr hat eine gute Freundin sehr von Webbers Umsetzung als Musical geschwärmt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade die Übersetzung von Alexander Teixeira de Mattos (siehe auch On Translations of Le Fantôme de l'Opéra) gelesen, von der ich überaus begeistert war, und habe skeptisch bemerkt, es sei doch etwas anmaßend von Webber dieses Lebenswerk des Übergroßen Erik komponieren zu wollen. Ihre schlichte Antwort: Webber sei eben einfach ein (musikalisches) Genie!

Nun hat eine weitere Freundin sehr Positives erzählt, und ich habe mir eine Aufzeichnung einer Aufführung des ursprünglichen Londoner Ensembles von 1988 besorgt.


Zunächst war ich, in gigantischer Erwartungshaltung, trotzdem ich sie niedrig zu halten versucht habe, ein wenig enttäuscht. Recht nett teilweise. Lustige olle Synthesizer-Sounds und 80er-Jahre-Drums im Titellied "The Phantom of the Opera", aber sonst?

Dienstag abend habe ich es mir nochmal angehört, mir den Text (das Libretto) des Musicals besorgt, und nach und nach, beim konzentrierten Zuhören, wurde ich immer begeisterter. Und bin schließlich völlig hin und weg! Zwei Tage hintereinander hat es mich nun bis früh morgens um sechs Uhr wachgehalten. Umwerfend!


Warum ich mir das Libretto besorgen mußte? Mir fällt es einfach unheimlich schwer, gesungene Texte zu verstehen. Wenn ich dann einmal den Text gelesen habe, geht es ohne Probleme, und ich kann überhaupt nicht verstehen, warum ich ursprünglich nichts verstehen konnte. Ist doch alles so brillant und klar ausgesprochen! Schon seltsam.

Allerdings ist so ein Musical — zumindest dieses — schon eine besondere Herausforderung. In hektischen Szenen gibt es ein Feuerwerk von Gesängen in unheimlich schnellem Wechsel. Einige Gesänge mit Raoul und Christine zum Beispiel. Oder besonders die Szene Prima Donna, in der gar sechs(sic!) Akteure ineinander übergehend oder gar wirklich gleichzeitig verschiedene Texte singen!

Doch was für eine Musik!


Aber auch die Texte von Charles Hart und Richard Stilgoe für sich genommen! Beispielsweise The Music Of The Night:

Night-time sharpens, heightens each sensation Darkness stirs and wakes imagination Silently the senses abandon their defences

Slowly, gently night unfurls its splendor Grasp it, sense it - tremulous and tender Turn your face away from the garish light of day, Turn your thoughts away from cold, unfeeling light - And listen to the Music of the Night. . .

Close your eyes and surrender to your darkest dreams! Purge your thoughts of the life you knew before! Close your eyes, let your spirit start to soar! And you'll live as you've never lived before. . .


[. . .]

Unbedingt genießenswert!


Ein Wermutstropfen ist leider, daß jener Mitschnitt der Aufführung nicht ganz vollständig ist. Ein paar wenige Szenen, die aber doch nicht unwichtig sind und einfach vermisst werden, fehlen.

Abgesehen davon bietet eine Audiomitschnitt leicht weniger visuelle Reize als ein vorgeführtes Musical. Irgendwann muß ich das mal in London sehen. Wie wohl das aktuelle Ensemble ist? Ich habe gerade einen Blick in die daumennagelgroßen Videoschnippsel der offiziellen Musical-Seite geworfen. Kaum zu unterbietende Tonqualität, aber was da rauschend von den Stimmen der damaligen Phantom-Interpreten der Original Broadway Company, der The Raoul Company, Chicago 1991, 2nd National Tour, der Original Los Angeles Company, sowie der nicht-ursprünglichen zu erahnen ist, gefällt mir nicht so gut wie Michael Crawford, der das Phantom des ursprünglichen Londoner Ensembles darstellt. Natürlich ist dieser Vergleich ganz und gar nicht fair und nahezu nichtssagend.


In den deutschen Text habe ich nur kurz hineingelinst. Gefiel mir nicht so gut; aber ich bin auch vom englischen Text einfach nur hellauf begeistert. Dominique, zuletzt erwähnte Freundin, hat mich allerdings schon gewarnt: "Stuttgart hat zwar ne ganz nette Inszenierung, aber deutscher Text ist einfach furchtbar".


Links zu verschiedenen Versionen der Texte

Poster zum Film The Phantom of the Opera

Vorweg: Es gibt verschiedene Textversionen. Offenbar hat es Änderungen während der vielen Jahre der Aufführung gegeben; dann gibt es noch CDs mit Interpretationen einzelner Stücke von verschiedenen Sänger mit leicht abgewandelten Texten.

Das beste Skript ist wohl: ALW Phantom of the Opera von http://phantomstheater.com/. Allerdings verwendet es leider oft die amerikanische Schreibweise einzelner Wörter, obwohl eindeutig britisches Englisch gesungen wird — also defenses statt defences — selbst in Teilen, wo nebeneinander verschiedene Versionen bereitstellt und bei denen es sich um die London cast lyrics handeln soll. Außerdem nervt das ständige Auslaufen vieler Verse mit " . . . " etwas und die Zeilen sind allzu oft getrennt; aber das sind ja nur Kleinigkeiten.

Das Libretto von PHANTOM PASSION ist auch nett. Brittisch-englische Schreibweisen, allerdings diesmal zu wenige Zeilenumbrüche... :-)

Dies ist wohl der gleiche Text wie von http://phantomstheater.com/, allerdings als eine lange, reine Textdatei, was auch ganz nett sein kann.

Recht schön eingerückt bei edlem Design ist diese Version von http://www.theatre-musical.com/phantom/. Auch viele Punktesammlungen, allerdings nicht allzu viele Zeilenumbrüche und auch nicht zu wenige. Obendrein &mdash gut oder schlecht? — ganz frei von Regieanweisungen.


Die ursprüngliche Erzählung

. . . ist natürlich immer noch empfehlenswert. Musical und Buch unterscheiden sich selbstverständlich dramatisch, keine Frage. Ich habe ja zuvor schon ein Loblied auf Teixeira de Mattos Übersetzung gesungen, auf das ich hier nochmal verweisen möchte. (Und auch die Nachreichung, daß man wohl auch noch andere Übersetzungen ansehen sollte — oder gleich den französischen Urtext, wenn man des Französischen mächtig ist —, da "whole passages—some of them the most beautiful in the book—are missing from the Teixeira de Mattos translation", wie Carrie Hernández in Lost In The Translation: Gaston Leroux's Phantom Novel — And What the Translators Have Done to It ausführt.)

Leroux erzählt beispielsweise ausführlich und spannend die Vergangenheit von Erik, dem Universalgenie, "trap-door lover" und Phantom, aus Sicht des Persers, der im Musical gar nicht vorkommt. Die gesamte Darstellung Eriks, des grausamen und genialen Meisters, ist ungeheuer vielschichtig und packend.

Mich stört ein gewisses Bißchen auch folgendes: In der Szene Beyond The Lake The Next Morning wird das (großartige) Stück The Music Of The Night als Komposition des Phantoms vorgeführt, während Eriks eigentliches Meisterwerk laut Buch, Don Juan Triumphant, von allen Personen als Fehltritt dargestellt wird.

Erst machen sich die neuen Manager der Oper, M. Richard Firmin and M. Gilles Andre (im Buch: MM Armand Monchermin und Firmin Richard), über Eriks Don Juan Triumphant in der Szene Notes des zweiten Aktes lustig:

Andre: Ludicrous! Have you seen the score?
Firmin: Simply ludicrous!
Andre: It's the final straw!
Firmin: This is lunacy! Well, you know my views.
Andre: Utter lunacy!

Anschließend auch noch Ubaldo Piangi ("If you can call this gibberish «art»!") und in der Folgeszene Carlotta Guidicelli ("Ah, piu non posso! What does it matter what notes we sing?"). (Gut, diese Beiden sind hochgradig pikiert, so kleine Szenen bekommen zu haben. Allerdings widersprechen die anderen Figuren ihnen ebenfalls nicht.)

Genau dieses Werk, allerdings, ist in der Geschichte das überwältigende Meisterwerk, an dem das Genie Erik zwanzig Jahre gearbeitet hat! Apolll's Lyre; Christine, nachdem sie die Maske vom Gesicht des Phantoms gerissen hat:

He had let go of me at last and was now dragging himself about on the floor, uttering terrible sobs. And then he crawled away like a snake, went into his room, closed the door and left me alone to my reflections. . . . Presently I heard the sound of the organ; and then I began to understand Erik's contemptuous phrase when he spoke about operatic music. What I now heard was utterly different from what had charmed me up to then. His Don Juan Triumphant (for I had not a doubt but that he had rushed to his masterpiece to forget the horror of the moment) seemed to me at first one awful, long, magnificent sob. But, little by little, it expressed every emotion, every suffering of which mankind is capable. It intoxicated me.

Naja, vielleicht eine kleine Unschönheit, aber nicht wirklich allzu schlimm.


Beide — ursprüngliche Geschichte und Musical — sind sicher Meisterwerke. Wie anfangs gesagt:

Wow!

"Feeling the diaphragm responding slightly to the bottom end of the music"

September 29, 2005, Literature
Last edited on November 24, 2005

Ich lese im Moment Pattern Recognition von William Gibson. Und ich muß sagen, daß er mir unheimlich auf die Nerven geht! Er scheint seine eigene Schreibe so sehr zu genießen und beeindruckt von sich zu sein. Stolz auf seine Wortkreationen und Begriffserfindungen wiederholt er sie ständig und immer wieder. Mirror-world cars, mirror-world lamps, mirror-world was-weiß-ich-nicht-alles; Lombard, Lombardhood und -ness (Akronym zu "Lots Of Money But A Real Dickhead").

Und dann die zerstückelten Satzungetüme! Ich mag eigentlich lange Sätze. Eine tolle Übersetzung ins Deutsche1) von Dantes La (Divina) Commedia schätze ich u.a. sehr wegen des anspruchsvollen, aufwendigen Satzbaus. Beeindruckende und bemerkenswerte Satzungetüme über zig Verse wie:

Nicht Höllenfinsternis, nicht tiefste Nacht, Wenn, hinter finstrer Wolken Dunst verschwunden, Am kargen Himmelsraum kein Stern mehr wacht, Hielt je mit dichterm Flor mein Aug umwunden Als jener Rauch, der dort um uns sich ballte, Noch ward so beizend je ein Hauch empfunden. Kein Auge ließ sich auftun, wo er wallte, Doch ließ mein kundig treuer Hort mich nicht, Bot mir die Schulter, daß ich fest mich halte.

(PURGATORIO - Canto XVI, Verse 1-9)

oder:

Sahst, Leser, je du Nebel um dich braun Auf Bergeshöhn, darein du eingesponnen, Nur wie durchs Lid der Maulwurf konntest schaun; Denk, wenn alsdann zu lichten sich begonnen Der dichte, feuchte Dunst, wie bleich allda Hindurchgeblinkt das matte Rund der Sonnen: Leicht stellst du dann dir vor, wie mir geschah, Als ich, zur Ruhe schon, der abendlichen, Hinsinkend, nun die Sonne wiedersah.

(PURGATORIO - Canto XVII, Verse 1-9)

Aber genau das verlange ich dann auch: Daß sie gut (konstruiert) sind! (Gut, ein Vergleich mit einem Jahrtausendmeisterwerk, oder auch nur einer Übersetzung dessen, ist etwas hart.) Gibsons aufgepumpte Konstruktionen, ständige Einschübe, Geraderückungen, nerven einfach. Dann wieder Satzbruchstücke; kleine Fetzen. Zwischendurch läßt er die Charaktere ach so philosophische Gedanken miteinander austauschen. Kleine Details gehören natürlich ausführlich beschreiben, ständig:

Outting on his dark brown Stetson, he clicks his key, and the Hummer's lights flash, go dark, flash again, and a brief, truncated lowing issues forth as the vehicle comes to full alert. She wonders if it gets touched a lot, looking like a giant's Matchbox toy. Whether it allows that.

Yeah.


Ein weiteres Zitat will ich nicht vorenthalten. Es ist einfach nur. . . Selten habe ich schönere Metaphorik genossen. Lest selbst:

(Kontext: Ein Gespräch zwischen der Protagonistin, Cayce, und ihrem Boss, Hube(rtus) Bigend, in einem Restaurant (Sorry, "a bar-restaurant retrofitted to look as little as possible like a pub, and whose lighting reminds her, as they approach its windows and the thump of bass, of the color of spent flashbulbs, fried steel wool through smoked glass").)

"The kiss. What you think about it?"
Cayce instantly knows what kiss he's talking about, but the contextual shift required to reframe Bigend as a footagehead is so peculiar, so vast a rotation, that she can only sit there, feeling her diaphragm responding slightly to the bottom end of the music—which until an instant ago she'd ceased entirely to be aware of. Someone, a woman, laughs brightly at another table.
"What kiss?" Reflex.

Nein, sie ist nicht einfach überrascht, daß ihr Boss sie auf die Filmschnippsel jener Subkultur anspricht! Nein, wummernde Bässe bis das Diapragma vibriert, bemerkt sie! Mhmmm, das sind Bilder! Da dürfte Gibson stolz auf sich sein!

Wenn es nicht leider nur ein Übersetzungsfehler meinerseits wäre. Diaphragm heißt neben Diaphragma (in der medizinschen Bedeutung) auch einfach nur Zwerchfell (wenn es anatomisch gemeint ist). Schade, darf er doch nicht stolz auf sich sein. Zwerchfell erschütternde Bässe kennt man schon.

So, weiterlesen. . .


Nachtrag

Dies ist keine inhaltliche Kritik, sondern bezieht sich schlicht auch Gibsons Sprache. Offensichtlich ist der Eintrag entstanden, als es mir gerade einfach zu viel geworden ist. Man muß sich immer etwas auf den Stil des Autors einstellen, und Gibson hat sicher viel Stilwillen — der mir gerade eben so gar nicht gefallen will. Vielleicht ändert sich das noch. Manches an dem Buch hat mir bisher auch gefallen, was ich ungerechterweise verschwiegen habe, und vielleicht trägt sogar die Sprache etwas dazu bei.

Es gibt einen weiteren Nachtrag in Form eines separaten Artikels: Pattern Recognition, Nachtrag



Fußnote

1)
Dante, Die göttliche Komödie
Deutsch von Friedrich Freiherr von Falkenhausen
Insel Taschenbuch 94
1. Auflage 1974
Copyright der deutschen Übertragung Insel Verlag 1937
ISBN: 3-458-01794-1 <2 Bde 1400>

Nachdem ich eine ganze handvoll Übertragungen angelesen hatte (und später weiter verglichen habe), gefiel — und gefällt — mir diese noch am besten. Mit dem Nachteil, daß das Deutsche einfach zu flüssig und gefällig plätschert, während Dantes (spät-)mittelalterliche Italienisch düster funkelt:

Come l'altre verrem per nostre spoglie, ma non però ch'alcuna sen rivesta, ché non è giusto aver ciò ch'om si toglie.

Qui le trascineremo, e per la mesta selva saranno i nostri corpi appesi, ciascuno al prun de l'ombra sua molesta.

(INFERNO - Canto XIII, Verse 103-108)

Ausschließlich wegen solcher Verse hatte ich vor Jahren angefangen, Italienisch zu lernen! Für Dante wird es allerdings selbstredend lange nicht reichen. . . Vor allem, weil ich nach nicht allzu langer Zeit wieder aufgehört habe.

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